Breites Bündnis verhindert Nazi-Aufmarsch

Nazi-“Gedenkmarsch“ in Aschaffenburg

Die Faschingszeit bringt seit 1993 in Aschaffenburg einen ganz besonderen Aufmarsch mit sich. Nicht der traditionelle Faschingsumzug mit Blasmusik und Motivwagen ist hier gemeint, sondern der „Gedenkmarsch“, der vor allem von der NPD organisiert wird.(1)

Der Schüler Hans M., genannt Lui, war Fasching 1993 bei einer Schlägerei erstochen worden, wobei ein albanischer Asylbewerber als Täter festgenommen wurde. „Die Staatsanwaltschaft Aschaffenburg (hatte) … die von dem Angeklagten gelten gemachte Notwehrsituation anerkannt und ihn nicht wegen fahrlässiger Tötung oder Körperverletzung mit Todesfolgen angeklagt, sondern – wie auch die übrigen sechs Angeklagten – wegen Beteiligung an einer Schlägerei.“ (Main-Echo, 26.04.94)

Am Samstag nach der besagten Schlägerei gingen rund 800 BürgerInnen in Aschaffenburg auf die Straße und bildeten eine Lichterkette für den Getöteten. Mit dabei: der spätere Oberbürgermeister-Kandidat „CSU-Promi Manfred Christ und … WJ-Bundesfahrtenführer Axel Schunk und Falco Schüßler, FAP-Landesvorsitzender Bayern“. (Flugschrift „Hans-M.-Gedenkmarsch III 95 – oder: Tod eines Aschaffenburger Rassisten“, herausgegeben von Autonomen Antifaschistischen Gruppen Aschaffenburg, 1995; im weiteren zitiert als M.-Info). Darüber hinaus gehen die VerfasserInnen des M.-Infos davon aus, dass der Getötete freundschaftlichen Kontakt zu Robert I. (…), dem ehemaligen FAP-Kreisvorsitzenden von Aschaffenburg, gehabt habe; auch sei der Kick-Boxer M. als rassistischer Schläger bekannt gewesen.

Wenn Autonome AntifaschistInnen im M.-Info allerdings behaupten, von den 800 TeilnehmerInnen des Trauermarsches seien 400 Nazis gewesen, so darf dies bezweifelt werden. Weder geben die Autonomen AntifaschistInnen an, wie sie die 400 Nazis erkannt haben wollen, noch verfügt das örtliche Nazispektrum über ein vergleichbares Potential, auch war die Zeit zur bundesweiten Mobilisierung für die Nazis zu kurz; und schließlich belegen die Zahlen der folgenden Jahre, dass für einen M.-Marsch keine 400 Rechtsextreme mobilisiert werden können. Lui M. war eben kein Rudolf Hess.

Für einen Skandal wurden auch nicht 400 Nazis benötigt. Skandalös genug war schon, dass 800 „ganz normale“ BürgerInnen und konservative Politiker in Begleitung einiger Dutzend Nazis aufmarschierten und sich so die militanten Rechtsextremen im ausländerfeindlichen „Volkszorn“, im offen auftretenden Rassismus suhlen und bestätigt fühlen konnten. Dass die Form einer Lichterkette gewählt wurde, kann getrost als trotzige Reaktion auf die damaligen Lichterketten gegen Ausländerfeindlichkeit gewertet werden.

Erneute Versuche

1994 ging die Wiederholung der M.-Innenstadtbeleuchtung für die NPD in die Hose. Sie hatte als „Freundeskreis Ein Herz für Deutschland“ dazu aufgerufen (Main-Echo, 25.02.94) und verkündet: „Es handelt sich um einen Trauermarsch und nicht um eine politische Gaudi mit Kostümierungszwang!“ (Flugblatt des NPD-Kreisverbandes Aschaffenburg/Miltenberg) Doch lediglich rund 30 Personen, durchweg aus dem Nazispektrum, beteiligten sich – wobei auch noch das Kostümierungsverbot von einzelnen Phantasieuniformträgern durchbrochen wurde.

Für 1995 hatte die NPD besser vorgesorgt. In diesem Jahr mobilisierte sie wenigsten „120 überwiegend junge Anhänger aus dem gesamten Bundesgebiet“ (Main-Echo, 27.02.95) für ihren Trauermarsch gegen „Inländerfeindlichkeit“, dessen beide Vorläufer inzwischen schon in einer bundesweiten NPD-Wahlzeitung hochgelobt worden waren. Das M.-Info wusste zu berichten, dass die Autos der angereisten Nazis aus Dortmund, Borken, Gelsenkirchen, Gießen, Jena, Leipzig, Rudolstadt, München, Nürnberg, Bayreuth, Frankfurt und Hanau kamen.

Anwesend waren nach diesem Bericht auch führende Köpfe der deutschen Naziszene wie Achim Ezer (JN-Vorsitzender in NRW), Michael Petri von der Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front und Mitglied bzw. Funktionär in diversen Nazigruppen sowie Kai Dalek (Thule-Mailbox, gilt als Geschäftsführer der GdNF) und weitere. Auch Naziprominenz aus der Region um Aschaffenburg wurde gesichtet: Werner Fleckenstein (FAP), Jürgen Schwab (Bund Frankenland), Markus Schwinger (REP) und der Anmelder des M.-Marsches Klaus Beier (NPD/JN).

AntifaschistInnen wollten sich den Fasching nutzbar machen, um gegen den Naziaufmarsch vorzugehen. Mit Pappnasen und anderen Karnevalsutensilien trafen sie sich auf dem Kundgebungsplatz (in direkter Nähe des Tatortes von 1993), da an Fasching eben den Pappnasen die Straße gehört. „Humorlos“ dagegen die Polizei: Sie räumte und machte so Platz für die NPD! Ebenso ging sie gegen ca. 50 Antifas vor, die nach dem Ende der Nazikundgebung angeblich „die Konfrontation mit einzelnen „Rechten“ gesucht hätten. Nach zwei Festnahmen unter den pappnasigen FaschingsfreundInnen setzten Uniformierte die 50 Antifas eine Viertelstunde lang fest, damit die Nazis abziehen konnten und „gingen gegen Einzelne auch mit körperlicher Gewalt vor“. (Main-Echo, 27.02.95)

Aber auch die NPD bekam Kontakt zu bayerischen Beamten. Elf Neonazis wurden vorübergehend festgenommen. Sie führten nach Polizeiangaben zum Teil Gasrevolver, Tränengas, Elektroschockgeräte, Naziembleme und Uniformteile mit sich. Zudem durften sie den geplanten „Kameradschaftsabend“ nach der Kundgebung nicht durchführen, mussten in Gruppen von maximal zehn Personen abziehen und ihr damaliger Führer Deckert bekam ein Verbot der Teilnahme am „M.-Trauermarsch“.

Ganz nebenbei: Die Eltern von Lui M., die den ersten Trauermarsch noch mitgetragen hatten, hatten „sich davon distanziert, dass Rechtsextreme den Namen ihres Sohnes benutzen, um ausländerfeindliches Gedankengut zu verbreiten“. (Main-Echo, 27.02.95) Das hatte die Nazis allerdings wenig beeindruckt.

Aktionstag 1996

Schon Wochen vor dem zum „Aktionstag“ aufgepeppten M.-Marsch 1996 konnte jede/r – wenn er/sie sich das wirklich antun wollte – über das Nationale Info-Telefon (NIT) Franken erfahren, dass am Samstag, 24. Februar die NPD ab 11 Uhr in Aschaffenburg eine „Aschersamstags-Veranstaltung“ (wirklich wahr!) durchführen wolle; ab 18 Uhr solle es den üblichen Gedenkmarsch für Hans M. geben, der „von ausländischen Verbrechern brutal abgeschlachtet“ worden sei, berichtete das NIT Franken. (Stand: 24.01.96, 23 Uhr)

Dass in diesem Jahr der albanische Flüchtling wegen Notwehr freigesprochen wurde, hinderte die NPD bzw. deren Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten natürlich nicht daran, weiterhin von einer „deutschenfeindlichen Tat schändlicher Ausländer“ zu reden. Naziideologie schert sich auch am bayerischen Untermain nicht um solche Kleinigkeiten. Jedenfalls rief im NIT die „JN Franken zu massiver Mobilisierung auf“.

Die AntifaschistInnen vom Bündnis gegen Rechts hatten rechtzeitig (am 7. Dezember 1995) reagiert und mit Unterstützung von Grünen, Türkischem Volkshaus, DFG-VK, GEW, DKP, Demokratischer Bewegung Aschaffenburg, dem dortigen Friedenskomitee und der Miltenberger Initiative für Demokratie und Frieden ein Straßenfest angemeldet. Von 16 bis 20 Uhr sollte die Gegend um den Aufmarschplatz der Nazis somit sinnvoller und vor allem interkulturell genutzt werden. Die Stadtverwaltung Aschaffenburg zeigte dagegen, nachdem die NPD/JN – wie zu erwarten war – ihren M.-Marsch (am 15. Januar 1996) angemeldet hatte, die bekannte bundesrepublikanische Form der Gleichmacherei: Sowohl der rassistische Marsch der Nazis als auch das für Verständnis und gegen Gewalt eintretende Straßenfest wurden verboten!

Nun begab es sich aber, dass in der Nazipostille „Junges Franken“ ein Aschaffenburger Kulturkneipenbesitzer als „ausländerfreundlichster Mitbürger Frankens“ denunziert wurde. In der Folge musste er mit ekligster Nazipost Bekanntschaft machen. Seine Kulturkneipe „Klimperkasten“ liegt zudem in direkter Nähe zum geplanten Platz des Straßenfestes. Der Kneipenbesitzer zeigte sich daraufhin großzügig und von seiner besten antifaschistischen Seite und holte das Straßenfest in seinen „Colos-Saal“ genannten großen Veranstaltungsraum, für den er keine Miete berechnete. Eine beliebte Aschaffenburger Rock-Gruppe schloss sich spontan an und bereicherte so das zum „Saalfest“ mutierte Straßenfest, dem sich dann noch ein vom Colos-Saal-Team organisiertes „Rock gegen Rechts“ anschließen sollte. Zusätzlich plante die Initiative Bildung für Alle (ibfa) in einem Jugendhaus ebenfalls ein Rock-Konzert.

Doch die JN war zwischenzeitlich vor Gericht gegangen und hatte so den M.-Marsch doch noch durchgesetzt, erhielte aber die Auflage der Stadt Aschaffenburg, eine Demo-Route abseits des Tatortes von 1993 zu benutzen. Sogar der Lokalsender TV touring, ansonsten betont unpolitisch bis zur gähnenden Langeweile, sah sich genötigt, hierüber zu berichten und räumte dem genannten Kneipenbesitzer am 22. Februar Gelegenheit ein, gegen die Nazis Stimmung zu machen.

NPD-Landesparteitag

Spätestens ab 20. Februar wussten die AntifaschistInnen am Untermain, dass eine weitere Nazimanifestation in direkter Nähe stattfinden würde. Das Darmstädter Verwaltungsgericht hatte den hessischen NPD-Landesparteitag in Groß-Umstadt am 24. Februar zugelassen. Diese hessische Kommune liegt nur 20 km vom bayerischen Aschaffenburg entfernt. Die dortigen Delegierten wurden über Internet-Botschaft aufgefordert, ab 16 Uhr nach Aschaffenburg zu fahren. (TV touring, 22.02.96)

Nachdem die Nazidemo eingeklagt worden war, meldete Bündnis 90/Die Grünen zusammen mit dem DGB, der Kommunalen Initiative 96, den Jusos und dem Türkischen Volkshaus eine Gegenkundgebung für den Ort an, an dem eigentlich die Nazis ihr „Gedenken“ abhalten wollten. (Main-Echo, 24.02.96) Das Nationale Info-Telefon Franken brachte ab 24. Februar, 0 Uhr eine Sonderansage: Treffpunkt 17 Uhr am Hauptbahnhof Aschaffenburg. Die Funk-Telefonnummern des Veranstalters wurden auch noch durchgegeben.

24. Februar in Aschaffenburg

Während am Samstag, 24. Februar ab 16 Uhr rund 500 Menschen beim Saalfest des Bündnisses gegen Rechts und dem anschließenden „Rock gegen Rechts“ im Colos-Saal interkulturell feierten und etwa 400 davon um 18 Uhr an der Gegenkundgebung teilnahmen, marschierten – durch rund 600 Polizeibeamte getrennt – ca. 300 meist junge Neonazis unter Abgröhlen von „Antifa – ha, ha, ha!“ und „Rache für Hans!“ sowie „Hier marschiert die NPD!“ oder „Hoch die nationale Solidarität!“ (wie einfallsreich!). Gedacht wurde bei der abschließenden Kundgebung Hans M. und allen, die künftig noch von schlimmen Ausländern und bösen Antifas umgebracht werden!

Die „unter zahlreichen Fahnen – überwiegend im reichsdeutschen Schwarz-weiß-rot“ marschierenden Nazis waren „aus dem ganzen Bundesgebiet angereist“ (Main-Echo) sowie aus der Schweiz und konnten bei der Aschaffenburger Bevölkerung keinen Blumentopf gewinnen; das martialische Auftreten führte lediglich zu erkennbarem Kopfschütteln bei Passanten und Protestrufen. Über die demonstrierenden Jungnazis meinte TV touring, dass die „starren Gesichter … zu den üblichen dumpfen, monotonen Parolen“ gepasst hätten.

Unter starker Medienpräsenz hielten vor allem regionale Rechtsextreme Ansprachen. Der NPD-Kreisvorsitzende Klaus Beier musste ebenso sein menschenverachtendes Gerede ablassen wie der Nazijournalist Jürgen Schwab aus Amorbach (Kreis Miltenberg). Dieser faselte von der „Schwäche des Systems“, das deshalb wie wild um sich schlage. Es ist ein scheinbar genetisch bedingter Reflex, dass der Mensch im angsteinflößenden Dunkel laut singt, um sich und anderen Mut zu machen. Nichts anderes tat Schwab. Denn das „System“, das sich einst der Nazis bediente, um die Asylrechtsänderung zu begründen, braucht das braune Gewächs nicht mehr, entledigt sich der international so auffälligen rechtsextremsten Gruppen; das hat gerade nichts mit Schwäche, sondern mit Stärke des bürgerlichen Systems zu tun.

Auch keine Schwäche bei der Polizei, die letztendlich alles im Griff hatte: Eine Gruppe von Jugendlichen (TV touring wollte hier sogar eine autonome Zusammenrottung beobachtet haben) wurde eingekesselt und zur Gegenkundgebung „geleitet“. Bereits bei Kontrollen im Vorfeld der Demonstrationen und nachdem einige Steine gegen die NPD/JN geflogen waren (es konnten sich Einzelne bis zur Nazidemo durchmogeln), wurden insgesamt 28 Personen – darunter 20 Nazis und 8 AntifaschistInnen – bis zum späten Abend in Gewahrsam genommen. Auch wurden die üblichen Waffen bzw. waffenähnlichen Gegenstände bei massiven Auto- und Personenkontrollen eingesammelt. Gegen mindestens vier Linke wurden Verfahren eingeleitet.

Besonders gewaltbereit waren allerdings einige Rechte: Nach der Nazidemo versuchten in der Nähe des Hauptbahnhofes zwei Rechtsextreme aus dem Münchner Raum, drei TürkInnen mit dem Auto zu überfahren. Nachdem die TürkInnen Anzeige erstattet hatten, wurden die beiden Nazis über das KFZ-Kennzeichen ermittelt und verhaftet.

Zutreffend ist, wie mehrfach festgestellt wurde, dass „die meisten Lokalpolitiker… sich zum NPD-Aufmarsch nicht öffentlich geäußert hatten“ (TV touring) und die Linken und Alternativen die Gegenmaßnahmen wieder einmal alleine durchführen mussten. Die Nazis feierten anschließend den M.-Marsch in ihrem Nationalen-Info-Telefon Franken als größte nationale Kundgebung seit dem Hess-Gedenkmarsch 1993. (2)

Odenwald als Nazihinterland

Nicht nur der alljährliche M.-Gedenkmarsch bringt die bundesweite Beachtung der Region Odenwald/Untermain für Nazis und Antifainteressierte mit sich. Sogar die Feierlichkeiten zum 30jährigen Bestehen der NPD sollten laut der bayerischen Antifa-Info-Zeitung RABAZ in Aschaffenburg stattfinden, worauf die Nazipartei aber nach Bekanntwerden ihrer Pläne verzichtete. (RABAZ Nr. 3, Frühjahr 1995)

Die Region Odenwald/Untermain muss für die NPD und andere Nazis eine ganz besondere Anziehungskraft haben. Dies liegt sicher nicht nur an Klaus Beier, dem sehr „rührigen“ NPD-Kreisvorsitzenden für Aschaffenburg/Miltenberg. Dessen „großmundig im Oktober angekündigte Bürgermeister-Kandidatur… in Karlstadt“ (Unterfranken) hatte er allerdings „kleinlaut per Fax zurückgezogen“. (Main-Echo, 19.01.96; vgl. auch ak 385) Nicht einmal die 13 Unterschriften bei der Nominierungsversammlung konnte Beier zusammenbekommen. Es stellt sich aber die Frage: Wollte er überhaupt kandidieren oder nur mittels Androhung ein großes Echo bei Presse und Antifa erzeugen? Beier ist allerdings nicht immer so scheinbar erfolglos. Er konnte z. B. den Europäischen Kongress der Jugend 1994 in seiner Heimatregion durchführen (vgl. ak 382) – und eben die M.-Märsche.

Und: Es darf sogar vermutet werden, dass Rechtsextreme den Odenwald (oder Teile davon) zur „befreiten Zone“ machen wollen, die dann als Rückzugs- und Aufmarschgebiet dienen soll, ganz im Sinne des Aufrufs „Schafft befreite Zonen!“ in der „Bauernschaft“ vom September 1995. Die rechtsextremen Hinterzimmerstrategen fühlen sich sicherlich bereits als Nationale Befreiungsbewegung, haben sich vermutlich an heroischen Kampfberichten und an „Landser“-Heftchen besoffen gelesen. Die militärische Begrifflichkeit, das offen zur Schau gestellte Sendungsbewusstsein als „Retter Deutschlands“, das nationalrevolutionäre Pathos der Nazis im Odenwälder Raum und ihr auch ansonsten erwiesener Realitätsverlust geben den Vermutungen über eine „befreite Zone“ im Odenwald zusätzlich Nahrung.

Obwohl bei bundesweiter Mobilisierung 300 TeilnehmerInnen beim M.-Marsch nicht viel sind, hat diese Demonstration mit ihrem kultischen Charakter (Blutmythos um ein zum Märtyrer umgelogenes Opfer einer Schlägerei) sicher extrem mobilisierende und festigende Wirkung auf die Nazis im und um den Odenwald. Auch auf der anderen Seite, bei „der anderen Feldpostnummer“ (wie Schwab die Antifa einmal bezeichnete), ist enges Zusammenwirken nötig, damit den Nazis die Lust genommen wird, den Odenwald – oder irgendeine andere Region – als eigenes „Hinterland“, als „befreite Zone“ zu reklamieren.

Anmerkungen:

(1) Dieser Artikel beruht neben aus den im Text angegebenen Quellen auf Informationen von Mitgliedern des Bündnisses gegen Rechts (BgR), Aschaffenburg und der Initiative für Demokratie und Frieden (IDeF), Miltenberg sowie der Antifa in Aschaffenburg verwendet.

(2) Quellen: Radio Primavera (25.2.96), Main-Echo, Würzburger Volksblatt, taz, jw, ND (26.2.96), NIT Franken mit Stand 25.2.96, 21.30 Uhr.

Martin Bayer

aus: ak – analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 388 / 07.03.1996, später veröffentlicht in kommunal.blogsport.de, für fundstuecke.info leicht überarbeitet (Vor allem wurde der Name des Getöteten weggelassen, da er keine Rolle spielt und die Familie öffentlich darum gebeten hatte.)

Weiter so, Aschaffenburg!

Breites Bündnis verhindert Nazi-Aufmarsch

Auch in diesem Jahr [Anm.: 1997] konnte es die NPD mit ihrer Jugendorganisation JN nicht lassen und versuchte, im Februar nach Aschaffenburg zu mobilisieren. Wieder war der vorgeschobene Grund der Tod eines Schülers, der an Fasching 1993 Opfer einer Auseinandersetzung zwischen deutschen und albanischen Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen geworden war. Doch diesmal wurde nichts aus dem geplanten Nazi-Aufmarsch. Denn die Gegenseite hatte sich 1997 noch besser als in den beiden Vorjahren auf die Nazi-Zusammenrottung vorbereitet. (1)

Unter Federführung des Bündnisses gegen Rechts (BgR) versammelte sich ein wirklich breites Bündnis, das von SPD und einem Ortsverband der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) über Grüne und DGB bis hin zu Autonomen und Antifaschistischen Gruppen reichte. (2) Insgesamt 29 Organisationsbezeichnungen enthielt das erste Flugblatt, das zu einer Podiumsdiskussion mit Stadtratsvertretern unter dem Thema „Rechtsradikalismus und die gesellschaftlichen Auswirkungen“ einlud. Weiterhin wurde mit einer Pressekonferenz, Info-Ständen, regionalen Veranstaltungen einzelner Bündnis-Gruppen, einer antifaschistischen Stadtführung sowie einer kleinen Demo am 27. Januar, dem Gedenktag für die Opfer der Judenvernichtung, die eigentliche Gegendemonstration vorbereitet.

Dazu kamen Info-Veranstaltungen in zahlreichen Städten zwischen dem Ruhrgebiet und München, da autonome Gruppen parallel zu einer bundesweiten antifaschistischen Kundgebung mobilisierten (die allerdings in die gemeinsame Demo münden sollte). Demgegenüber beschränkte sich das Konzept der restlichen Gruppen auf eine regionale Mobilisierung, um ganz gezielt bürgerliche Kreise vor Ort nicht aus ihrer Verantwortung für ein Handeln gegen den Nazi-Aufmarsch zu entlassen.

Etablierte reagieren

Einen ersten Erfolg konnte das Bündnis gegen den Nazi-Aufmarsch schon dadurch erreichen, dass sich die etablierten Stadtratsfraktionen – CSU, SPD und FDP unter Beteiligung der Grünen – genötigt sahen, zu einer eigens angesetzten Veranstaltung mit Michel Friedmann, Mitglied des Zentralrats der Juden in Deutschland und CDU-Stadtverordneter im Frankfurter Römer, aufzurufen. Eine ziemlich weiche (aber dennoch für Aschaffenburg seltene) Resolution aller Stadtratsgruppierungen verurteilte den Nazi-Aufmarsch, nicht ohne sich „gegen extreme Kräfte von rechts und links“ auszusprechen. Die Kirchen reagierten mit einen Gottesdienst am 27. Januar, bei dem ausdrücklich Bezug genommen wurde auf den erwarteten Nazi-Umzug.

Nichtsdestotrotz versuchten CSU-Funktionären, die Diskussion in Richtung einer Spaltung des Antifa-Bündnisses zu lenken. Im Hinblick auf ein Flugblatt der autonomen Antifa-Gruppen wurde vor den bösen Militanten gewarnt. Trotz darauf folgender heftiger Diskussion im Bündnis gegen den Nazi-Aufmarsch hielt dieser Zusammenschluss.

Nazis ziehen den Schwanz ein

Mitten in die Vorbereitungen der Nazi-Aktion sowie der Gegenmaßnahmen platzte die Nachricht, dass am 13. Januar im bayerischen Odenwald das Waffenlager eines Nazis aus den Reihen der Deutschen Liga für Volk und Heimat (DLVH) ausgehoben worden war. Neben zwei kompletten Maschinengewehren wurden u.a. Maschinenpistolen, Pistolen und Revolver, vier Handgranaten, drei Flugabwehrgranaten, 15.000 Schuss Munition und diverses Nazi-Propagandamaterial wie Hakenkreuzfahnen sichergestellt!

Ende Januar: Die Überraschung ist perfekt. Als Sieg durch technischen K.O. konnte das Antifa-Bündnis die Demonstrations-Absage der NPD werten! Die vorgeschobene Begründung der Nazis: Die Waffenfunde in Amorbach hätten „geheimdienstlich gesteuerte Autonomenbanden und andere Störer“ (!) so zahlreich mobilisiert, dass die NPD ihren Aufmarsch nun nicht mehr verantworten könne.

Tatsächlich dürften drei Gründe ausschlaggebend für diesen Schritt gewesen sein: 1. Der NPD wurde gerichtlich aufgrund einer Klage der Familie des 1993 Getöteten verboten, dessen Namen zu verwenden. 2. Die NPD hätte sicherlich keine erneute Steigerung von Teilnehmerzahlen bei ihrem Aufmarsch hinbekommen, eher einen Rückgang verzeichnen müssen, was ihrer „Ehre“ abträglich gewesen wäre. 3. Mit einem derart breiten und aktiven Gegen-Bündnis hatten die Nazis bei weitem nicht gerechnet!

Das Bündnis gegen Rechts verkündete sofort, dass die geplanten Aktivitäten gegen die Nazis in vollem Umfang stattfinden werden. Denn „die Inhalte der NPD, gegen die wir auf die Straße gehen, haben sich keineswegs verändert. Und in dem Schreiben der NPD an die Stadt steht wörtlich: Schließlich möchten wir feststellen, dass der Verzicht auf die Durchführung der Demonstration keineswegs bedeutet, dass in kommenden Jahren die Demonstration ebenfalls nicht durchgeführt wird, im Gegenteil“.

Kleine Rache: Anti-Antifa

Die NPD oder andere Nazi-Kreise konnten es allerdings nicht lassen, wenigsten noch zwei Anti-Antifa-Aktionen durchzuführen.

In einem an diverse Ämter und Stellen verschickten Brief mit gefälschter Unterschrift eines Hauptaktiven des Antifa-Bündnisses wurde u.a. gefordert, die Stadt Aschaffenburg solle alle Kosten der anreisenden Antifas tragen sowie die bürgerlichen Rechte der Nazis außer Kraft setzen etc. Dieser offensichtliche Blödsinn, der noch einmal Verwirrung in die Reihen des Bündnisses tragen sollte, wurde im Regionalfernsehen von dem Vertreter des Bündnisses souverän zurückgewiesen.

Weiterhin versuchten die Nazis, ein weibliches Mitglied der Anti-Antifa in das Bündnis gegen Rechts einzuschleusen. Ein recht dümmliches Vorgehen und die Weitergabe eher drittrangiger Informationen durch diese Person an die Nationalen Info-Telefone (wo diese Infos auch gleich verbreitet wurden) führte zur schnellen Enttarnung und verhinderte größeren Schaden.

Die Anti-Antifa Franken war es dann auch, die wenige Tage vor dem 22. Februar dann doch noch eine Demo für diesen Tag anmeldete, die allerdings verboten wurde. Die sonst übliche Anrufung der Gerichte unterblieb, und die wenigen Dutzend Neo-Nazis, die dem weiterhin bestehenden Demo-Aufruf der Nationalen Info-Telefone gefolgt waren, wurden kurzerhand von bayerischen Beamten nach Hause geschickt.

Die Demonstration …

Nachdem auch Michel Friedmann indirekt zur Beteiligung an der Antifa-Demonstration aufgerufen hatte, war das Bündnis an Breite kaum noch zu übertreffen. Lediglich OB Willi Reiland (SPD) schoss quer und forderte über das lokale TV die Bevölkerung auf, zu Hause zu bleiben und so „den Radikalinskis“ eine Absage zu erteilen.

Damit konnte er allerdings nicht verhindern, dass am 22. Februar an acht Punkten Kundgebungen stattfanden, die sich zu zwei Demo-Zügen formierten, welche in einer Abschlusskundgebung mündeten. Ein starker autonomer Block und viele TürkInnen und KurdInnen sorgten für Demo-Stimmung – und alles verlief erstmal friedlich, da auch die Polizei eine bewusste Deeskalationsstrategie fuhr. Über 2000 Beteiligte, darunter knapp die Hälfte Autonome und Punks, zogen in einer der größten Demonstrationen, die Aschaffenburg je erlebt hatte, durch die Stadt.

Nachdem das Gerücht aufkam, am Hauptbahnhof seien Nazis gesichtet worden, trennten sich rund 350 Autonome unter Führung des Blocks der Antifaschistischen Aktion/Bundesweite Organisation im Eilschritt von der Abschlusskundgebung, beschädigten im Vorbeigehen zwei Fensterscheiben und fünf Autos und landeten am Bahnhof im Kessel der Polizei. Dabei kam es zu einigen Festnahmen. Die Polizei ließ größere Gruppen der Eingekesselten per Bahn abreisen und geleitete den restlichen Kessel dann Richtung „Colos-Saal“, wo das abschließende Rock gegen Rechts stattfand. Dort wurde die Einkesselung ohne Personalienfeststellung aufgelöst.

… als Siegesfeier

Wenngleich in den Kundgebungs-Reden illusionslos betont wurde, dass die Neo-Nazis nur die Spitze eines Eisbergs sind, der sich ansonsten aus bürgerlich-parlamentarischer Ausgrenzungspolitik und Alltagsrassismus etc. zusammensetze, kann die Aschaffenburger Demonstration dennoch als antifaschistische Siegesfeier bezeichnet werden.

Entsprechend wurde die Demonstration von Mitgliedern des Bündnisses gegen Rechts als voller Erfolg gewertet. Kritik wurde laut am Verhalten der Autonomen und ihrer Extrademo zum Bahnhof. Dieses sei unsolidarisch gegenüber dem Bündnis gewesen, da eine friedliche Demonstration auf einer genau bezeichneten Route verabredet war.

Zu bedenken bliebe in diesem Zusammenhang, dass die Anmeldung durch nicht-autonome Gruppen und deren Beteiligung an der Demo den Autonomen ganz erheblichen Stress mit der Polizei ersparte – von der ja bekannt ist, dass sie auf ihre eigene „bayerische Art“ vorgehen kann. Bei einer rein-autonomen Angelegenheit hätte die Polizei wohl weniger zurückhaltend reagiert. Die (für die Autonomen günstigen) Bündnisabsprachen hätten Verbindlichkeit bei diesen zur Folge haben müssen. Nun nutzt die rechts-bürgerliche Seite die geschenkte Gelegenheit, um in Leserbriefen mit Beschimpfungen gegen die Autonomen die ganze Demonstration in Misskredit zu bringen. Entsprechend reagierte auch der Großteil der überregionalen Medien.

Kritik gab es auch am Verhalten des DGB und der ÖTV. Diese hatten ebenfalls Bündnisabsprachen einseitig gekündigt und somit ein „autonomes“ Vorgehen an den Tag gelegt. Mobilisierten sie doch nur für die Abschlusskundgebung, wohl um bei etwaigen Auseinandersetzungen während der Demo nachher ihr Schäfchen umso besser politisch ins Trockene bringen zu können.

Dennoch: Ein nicht zu unterschätzender Sieg über die Neo-Nazis, der nur dank eines breiten Bündnisses zustande kommen konnte. Und: Das Bündnis selbst, in dieser Breite neu für Aschaffenburg, war schon ein Erfolg an sich. Von Aschaffenburg lernen heißt siegen lernen (oder so ähnlich war das doch…).

Anmerkungen:

(1) vgl. ak 388, „Nazi-‘Gedenkmarsch‘ in Aschaffenburg“

(2) Da die Bandbreite der Nazi-GegnerInnen wirklich beachtlich ist, sei hier die vollständige Liste der Beteiligten in der Reihenfolge des ersten Flugblattes aufgeführt: PDS, DKP, GEW, JUSOS, Waschtag (lokale Kulturinitiative), IGM-Jugend, IDeF Miltenberg (Initiative für Demokratie und Frieden), Bündnis 90/Grüne, Bündnis gegen Rechts, IGM-Ausländerausschuß, KI/Kommunale Initiative (linke Kommunalpolitische Liste), IPPNW – Ärzte gegen atomare Bedrohung Aschaffenburg e.V., Flüchtlingsgruppe Dammbruch, Dt. Freidenker- Verband Aschaffenburg, Autonome und Antifaschistische Gruppen, CAJ (Christliche Arbeitnehmer-Jugend), SPD, ÖTV, DGB, IGAA (Initiative gegen Ausländerfeindlichkeit Aschaffenburg), MLPD, Halkevi (Türkisches Volkshaus), DFG-VK, Pax Christi, IBfa-Zentrum (Initiative Bildung für alle), Christen für den Frieden, Demokratische Bewegung (lokale türkisch/kurdische Gruppe), KAB Ortsverband Mömbris, Amt für Industrie- und Sozialarbeit der ev.-luth. Kirche Aschaffenburg. Dazu kamen später als Unterstützer noch die Deutsch-Ausländische Gesellschaft Alzenau und AWA – Die Regenbogenliga (schwul/lesbische Gruppe).

Martin Bayer

ak – analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 400 / 13.03.1997, später veröffentlicht in kommunal.blogsport.de, für fundstuecke.info leicht überarbeitet


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