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Virtuelles Archiv zur Sozialgeschichte in der Region Aschaffenburg/Miltenberg

Provinz: Ort ohne Linke?

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Über die Schwierigkeit, in der Provinz als LinkeR zu überleben

Die Provinz ist der Ort, an dem es wenig Linke gibt. Die tiefe Provinz ist daran erkennbar, dass hier nicht eine Bewegung, sondern die weibliche Einzahl gemeint ist, wenn von „die Linke“ gesprochen wird. Wobei gilt, dass es natürlich auch ein Linker (Einzahl männlich) sein kann.

Auf jeden Fall: Es sind wenige, die sich jenseits der Metropolen links definieren. Apropos links: In diesem Aufsatz wird davon ausgegangen, dass mit links jene emanzipatorischen und solidarischen Gedanken gemeint sind, die sich auf dieser Seite des politischen Spektrums außerhalb von SPD und Grünen bewegen.

Die geringe Zahl von Provinzlinken wirkt sich umso negativer aus, als sich die politische Linke immer kollektiv konstituiert hat. Ausgehend von dem richtigen Gedanken, dass weder Eigenbrötlerei noch kokettierender Individualismus oder gar herrische Führeransprüche linke Politik voranbringen können, sondern nur gemeinsame Gedanken- und Kraftanstrengungen, ausgehend auch davon, dass der Weg dem Ziel einer Gesellschaft der Gleichen wenigstens nicht widersprechen darf (wenn er sie schon nicht vorwegnehmen kann), – ausgehend von all diesem, ist es für die vereinzelten Linken in der Provinz überaus schwierig, die für sie nötige Kollektivität zu suchen. Wenn wir sie aber nicht vorfinden, dann müssen wir sie in irgendeiner Weise herstellen.

Eine Grundannahme von Albert Herrenknecht (in: Provinzleben, Frankfurt 1977, Verlag Jugend & Politik) besagt, dass Linke in der Provinz immer auch Anbindung an die Metropolen benötigen, um nicht in ihrem Sumpf zu ersticken. Gerade dann, wenn in einem Dorf oder einer Kleinstadt lediglich ein oder zwei sich politisch links definierende Menschen wohnen und diese somit keinen eigenen Zusammenhang (wie das neudeutsch so schön heißt) herstellen können, wird die Anbindung an bessergestellte Teile der Provinz oder an die Metropolen zwingend.

Dies kann geschehen über Teilnahme an überörtlichen Seminaren, Bezug von linken Zeitschriften (über die die linke Diskussion mitverfolgt und auf Seminare etc. aufmerksam gemacht wird), Beteiligung an diesen Periodika durch Leserinnenbriefe und Artikel, aber auch durch so banale Geschichten wie Telefonkontakt zu den aus der Provinz in die Metropolen abgewanderten Linken. Letzteres kann – wie die Erfahrungen des Autors dieser Zeilen belegen – eben auch dazu dienen, ganz wesentliche Hinweise auf Metropolen-Diskussionen, Seminare und Publikationen zu erhalten. Zeitschriften schließlich, die sich ganz besonders auch an ein provinzielles Publikum richten – wie die nhz [s. unten] – sind in diesem Zusammenhang aufgefordert, die überörtlichen Diskussionen in die Provinzen zu tragen, indem sie Zeitschriftenübersichten anbieten, wesentliche Beiträge der Metropolen-Diskussionen nachdrucken, Seminarhinweise geben etc.

Aber auch die/der Linke in der Provinz ist aufgerufen, etwas zu tun. Sie/Er muss sich auf die Suche nach den anderen vereinzelten Linken machen und – wo möglich – eigene Diskussionszusammenhänge aufbauen (über Landkreis- und Regionengrenzen hinweg, wenn dies sein muss).

Auch die Mitarbeit in nicht-linken Gruppen und Bürgerinneninitiativen, die aber Spielraum für das Einbringen linker Ideen bieten, ist eine Möglichkeit, auch jenseits eigener linker Gruppen tätig zu werden. Und diese Mitarbeit sollte auch dann selbstverständlich sein, wenn eigene Gruppen bestehen. Denn nur so kann langfristig Sektierertum vorgebeugt werden.

Schließlich sind die Linken einer Region aufgefordert, sich zu vernetzen, was z.B. durch ein regelmäßiges Seminar geschehen kann. Sehr gute Erfahrungen wurden hier mit dem jährlichen Antifa-Seminar des Bündnisses gegen Rechts Aschaffenburg-Miltenberg gemacht, bei dem Linke unterschiedlicher Strömungen sowie vereinzelte Provinzlinke zusammen an einem Wochenende themenorientiert arbeiten und dabei auch zahlreiche Kontakte entstehen, die der Vereinzelung entgegenwirken.

Wir sehen: Provinz ist ein Ort – und kein unentrinnbares Schicksal.

Bild: Linke Zusammenarbeit und Vernetzung an einem praktischen Beispiel: Die Gewerkschafts-Jugendgruppe aus Obernburg beim Provinztreffen des alternativ-linken Traum-A-Land-Vereins in Wertheim 1981.

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Linke Provinzdiskussion

Über die linke Provinzdiskussion kann eigentlich nicht besonders viel gesagt werden. Die traditionelle Linke beschäftigte sich kaum damit. Während der Weimarer Republik trat fast nur der ehemalige SPD- und spätere KPD-Politiker Edwin Hörnle mit einem eigenen Ansatz zur „Landagitation“ in Erscheinung, der aber nach dem Krieg – Hörnle wurde SED-Funktionär – in Vergessenheit geriet (siehe: „Edwin Hörnle – ein klassischer SPD/KPD-Provinzarbeiter“, in: Traum-A-Land, Provinzzeitung für Franken-Hohenlohe, Nr. 20, Juli/August 1981, ohne Autorenangabe, vermutlich aber Albert Herrenknecht).

In den siebziger und achtziger Jahren kam es zu einem kurzen Aufschwung der Provinzdiskussion, was sicher auch mit dem Aufflammen der Anti-AKW-Kämpfe zu tun hatte, die die Provinz als Ort dieser Auseinandersetzungen plötzlich interessant machte. Albert Herrenknecht schrieb sein Buch „Provinzleben – Aufsätze zu einem politischen Neuland“, ein „Kursbuch“ (Nr. 39, Westberlin 1975) zum Thema Provinz erschien, in Berlin fand der „Stadt-Land-Dialog“ statt. Aber mit dem Abflauen der Anti-AKW-Bewegung gerieten auch die Provinz-Orte wie Kalkar, Brokdorf, Grohnde, Wackersdorf etc. wieder in Vergessenheit – und mit ihnen die Erinnerung an die Notwendigkeit, sich auch mit der Provinz zu beschäftigen.

Aus den damaligen Kämpfen hat die Linke auch nicht viel gelernt. Ein ganz wesentlicher Punkt wäre doch gewesen, festzuhalten, dass bestimmte Formen des Widerstands nicht ritualisiert durchgeführt werden können. Vielmehr sind diese nur unter bestimmten Gegebenheiten und bei Vorhandensein eines bestimmten Bewusstseinsstandes der (provinziellen) Bevölkerung möglich und sinnvoll. Denn wie selten in der linken Geschichte war z.B. in Wackersdorf ein Konsens zwischen Bevölkerungsmehrheit und Linken zu spüren, dass zur Abhilfe der Gefahr auch direkte Militänz nötig ist. Nur dann kann diese auch politisch wie moralisch gerechtfertigt werden. (Welche anderen Formen – vom zivilen Ungehorsam bis zur Sachbeschädigung – nötig und möglich sind, hängt eben auch immer von der konkreten Situation ab.)

Neuere Ansätze der Provinz-Diskussion, etwa bei der Antifaschistischen Aktion/Bundesweite Organisation (Aufsätze der Antifa Bünde und der Antifa-Aktion Passau in „Einsätze!“, September 1993), scheinen noch sehr unzureichend und noch zu sehr an städtischer Autonomenpolitik orientiert. Auch dieser nhz-Artikel kann nur ein erneuter Anriss des Themas sein: unvollständig, diskussionsbedürftig.

Martin Bayer

geschrieben für die links-alternative Regionalzeitschrift neue hanauer zeitung (nhz) Nr. 87 (Jahreswechsel 1994/1995), für fundstuecke.info nur leicht überarbeitet


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