Was haben R. (Jahrgang 1956), E. (1960), J. (1965) und H. (1989) gemeinsam? Sie alle haben mich wie sehr viele andere in dieser öden Provinz hier sitzen lassen. Sie alle haben einmal für eine alternative Umgestaltung gekämpft, für Befreiung, für bessere Kunst, für weltweite Solidarität, die hier in der Provinz beginnt, für all das Gute. Und sie sind alle gegangen. Ihre Gründe hielten sie für gut: Sie wollten studieren, sie wollten einen besseren Job, sie wollten eine bessere Wohnsituation, sie wollten einfach auch mehr Gleichgesinnte, mehr Kunst, mehr Abwechslung, mehr von allem um sich herum. So gingen sie weg, meist in größere Städte, in Großstädte. Wären sie alle noch da, ich könnte mit ihnen jeden Samstag eine Demonstration durch diese provinzielle Kleinstadt veranstalten, Themen gäbe es mehr als genug, Menschen wären wir dann auch mehr als genug.
Ich könnte nun stinksauer sein. Einfach nur ganz eklig stinksauer.
Nun darf der Einwand kommen, ich hätte auch gehen können. Tatsächlich war ich kurz davor. Allerdings gab es Lebensumstände, die mich hier gehalten haben, so wie es Lebensumstände gab, die die anderen von hier weggeführt haben. So bleibe ich als Beweis für die Einsamkeit in der Provinz. Schön immerhin, dass es den Zug Richtung Frankfurt gibt, schön immerhin auch, dass es das Internet gibt. Beides reicht für die Illusion, nicht alleine zu sein.
Ich könnte auf die Weggegangenen dennoch stinksauer sein. Aber dem ist nicht so. Ich bedaure ihr Weggehen, aber ich verstehe sie. Wie gesagt: Fast wäre ich auch gegangen.
Manche der Weggegangenen toben sich heute in Internet aus. Sie kämpfen an dieser Front fast heldenhaft (weil aussichtslos) gegen Kleingeist, Dummheit, Dumpfheit und Faschismus. Andere haben in den größeren Städten, in den Großstädten eine neue Betätigung dort gefunden, wo noch immer nach sozialen und ökologischen sowie solidarischen Alternativen gesucht wird. Wieder andere lesen die Welt und die FAZ. Auch mit ihnen kann ich noch reden, wenn wir uns treffen. Schon die frühere Situation der Provinzlinken ließ nicht viel Raum für Dogmatismus. Da waren wir einfach zu wenige, um Fraktionskämpfe zu führen und Splittergruppen zu gründen. Manchmal lehrt uns die Provinz auch Gutes. Und dann ist da ja auch noch die Tatsache, dass wir uns einmal sehr gut verstanden haben. Das behalten wir bei, wir heutigen und ehemaligen Provinzler.
Wenn sie halt wenigstens ab und an zurückkommen würden, die Gegangenen. Nicht alleine, sondern in möglichst großen Gruppen. Wenn sie ihre ganze Blase aus den Metropolen mitbringen würden … Damit wir wenigstens ab und zu der organisierten Dummheit auf unseren Straßen entgegentreten könnten, den Aufzügen von Querulanten und Rechtsextremen, den Zusammenrottungen von Wutbürgerinnen und Verschwörungsgläubigen, die sich von gestandenen Nazis anführen lassen. Denn diese lieben die Provinz, sie kommen immer wieder. Wie wir wissen, war das früher schon so. Die Reaktion, die Konterrevolte, die Rückkehr des Alten kommt von der Provinz aus in die Städte. Wäre es da nicht Eigennutz der Städter, die Provinz nicht außer Acht zu lassen?

Mapec
Der Beitrag wurde am 07.09.2023 auf Facebook veröffentlicht und für fundstuecke.info leicht überarbeitet.
Schreibe einen Kommentar