In meiner Berufsausbildung befand ich mich mehrfach zum Internatsunterricht in einer überörtlichen Ausbildungseinrichtung hunderte Kilometer von meinem Wohnort entfernt. Dort kamen junge Leute aus der ganzen damaligen Bundesrepublik zusammen. Wenn mich jemand fragte, wo genau denn dieses Miltenberg läge, aus dem ich komme, konnte ich alles klar machen mit der Feststellung: Es liegt zwischen Anneliese Michels Klingenberg und Ernst Heinrichsohns Bürgstadt. Beide Orte waren über die Grenzen der Region, sogar über jene der damaligen deutschen Westrepublik hinaus bekannt wegen der genannten Personen: die durch mehrfachen Exorzismus verstorbene Studentin und der wegen Verbrechen im zweiten Weltkrieg angeklagte Rechtsanwalt und Bürgermeister, der als einflussreiches CSU-Mitglied galt.
Beide Ereignisse waren uns damals Beweis für die Tödlichkeit der herrschenden Ideologie: der Tod von Anneliese Michel für die Wirkung von Religion, die angeklagten Taten des Ernst Heinrichsohn und der ebenfalls vor Gericht stehenden anderen SS-Männer für die Bereitschaft zum Terror, die der bürgerlichen Ideologie wie Politik und Wirtschaft stets innewohnt. Grundsätzlich hatten wir recht: Wenn auch heute ganz andere konkrete Formen der Ideologie und Herrschaft im real existierenden Wirtschafts- und Gesellschaftssystem Deutschlands üblich sind, wenn auch die katholische Kirche nach Anneliese Michel hierzulande nie mehr einen Exorzismus genehmigt hat, so sind brutale Irrationalität und offener Terror doch weltweit Optionen der Machtausübung und Machtsicherung geblieben. Ein Blick in ein beliebiges tagesaktuelles Medium mag dies bestätigen.
Gegen die damals vorherrschende Geschichtsverleugnung sowie Rechtfertigung der Täter des „Dritten Reiches“ wandten sich vor allem jüngere Menschen. Im Fall Heinrichsohn aber auch eine Abordnung aus Frankreich um Beate und Serge Klarsfeld, die 1978 in Miltenberg vor der Rechtsanwaltskanzlei des einstigen SS-Mitgliedes demonstrierte. Fotos dazu wurden fundstuecke.info zugeleitet, wir veröffentlichen diese, ergänzt um einige Zeitdokumente, die den Fall Heinrichsohn darstellen.
Mapec, Juli 2024
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