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Die Redaktion fundstuecke.info ist bereits dabei, die Geschehnisse vom 22. Januar in Aschaffenburg und die Folgen zu dokumentieren, auch wenn uns in den ersten Tagen erst einmal die Worte fehlten. Inzwischen liegen uns Dokumente und Stellungnahmen vor; wir denken, dass wir in wenigen Monaten eine Übersicht jener Ereignisse vorlegen können, die sehr stark auf die soziale, politische und emotionale Situation (nicht nur) in unserer Region einwirkten und noch einwirken. So ging uns auch ein Brief zu, den wir nachstehend gerne vorab als Zeitdokument veröffentlichen.
Auch wir fühlen mit den Angehörigen der Opfer, – soweit dies überhaupt möglich ist bei einem so unglaublichen Einschnitt in das gewohnte Leben. Und wir wünschen ihnen Kraft und Beistand.
Redaktion fundstuecke.info
Die Nachrichten und Ereignisse, die in den letzten Tagen in Aschaffenburg stattfanden, bewegen mich auf vielen Ebenen. Zunächst ist da die Trauer über die grausame Tat vom Mittwoch: ein Kind, das so gewaltsam aus dem Leben gerissen wurde, und viele andere Kinder, die in derselben Gefahr schwebten, verletzt wurden und das miterleben mussten. Auch die Erwachsenen, die zu Zeug*innen und/oder verletzt wurden, die tapfer einschritten und nicht zuletzt der Mann, der sein Engagement mit dem Leben bezahlte. Allen Angehörigen möchte ich ausrichten, dass das alles nicht fair und mit nichts angemessen zu entschuldigen ist.
Was passiert ist, ist unfassbar und unfassbar tragisch.
Ich bin keine der angehörigen Personen, doch als Person, die in Aschaffenburg geboren wurde und in der Region aufwuchs, kenne ich viele Menschen, denen das sehr nahe geht. Obendrauf kommt die Bedrohung durch gewaltbereite Nazis, die durch den Park streifen oder im Internet ihre Ideologie verbreiten. Die groß angesetzte Demonstration von „Rhein-Main steht auf“ am Sonntag wurde von diesen Kräften mobilisiert. Für viele Menschen, die nicht in das Weltbild der Nazis passen oder dieses ablehnen, ist diese Atmosphäre eine zusätzliche Belastung. Die steigende Präsenz der Nazis schafft ein Klima der Bedrohung und behindert einen angemessenen Trauerprozess. Wenn man zum Beispiel auf Youtube einfach nur „Aschaffenburg“ eingibt, findet sich recht schnell ein Video, dessen Titel dazu aufruft, sich nun zu bewaffnen. Ein Mann führt darin verschiedene Waffen vor, die man laut seiner Aussage legal mit sich herumführen darf. Darunter eine Machete zum ausklappen und eine ähnliche sichelförmige Hiebwaffe.
Die offen nationalsozialistische Partei „Der III. Weg“ nutzt den Raum der Trauer für ihr politisches Programm. Im Gegensatz zur AfD versuchen sie nicht einmal so zu tun, als ginge es ihr um die Opfer und Angehörigen.
Wenn nun mutige Antifaschist*innen sich dagegen einsetzen, dass die Trauer, die Straßen und der Diskurs von Nazis angeführt wird, geschieht dies nicht aus einem (partei-)politischen Programm heraus, sondern aus der Nicht-Akzeptanz der Verbreitung menschenverachtender Ideologien und Weltbilder. Ich behaupte: Wenn wir als Gesellschaft es zulassen, dass Rechtsextreme, Faschist*innen und Nazis diesen Raum der Trauer und die Deutung der Geschichte übernehmen, lassen wir gleichzeitig die Unterwanderung der Demokratie zu. Eine Demokratie muss wehrhaft sein, um bestehen zu können. Auch wenn – oder gerade weil – Trauer erst einmal etwas Verletzliches an sich hat.
Im Laufe der Zeit hier in Aschaffenburg, habe ich hin und wieder Menschen sagen hören, dass der antifaschistische Protest die Trauer stören würde. Und ja, es fällt auf, dass die Stadt zum Schauplatz einer Auseinandersetzung geworden ist, die ihre Ursache in komplexen globalen Zusammenhängen hat. Und das ist auch nicht fair im Angesicht der abscheulichen Tat vom Mittwoch. Es gibt an dieser Situation nichts schön zu reden. Bei aller Mühe, die Würde und Pietät zu wahren, gilt für mich jedoch auch: „Nie wieder ist jetzt“ und „Kein Fußbreit den Faschist*innen“.
Ich finde wahre Trauer braucht keine Forderung nach harten Grenzen und massenhaften Abschiebungen. Und Sicherheit braucht keine autoritäre Politik, sondern gut funktionierende soziale Strukturen.
Ich bin dankbar für alle, die den Faschist*innen nicht die Straßen und Plätze überlassen (wollen) und für jedes warme Wort und jede Geste der Solidarität, z. B. von Vorbeilaufenden. Und ich möchte euch Angehörigen der Opfer von Herzen wünschen, dass ihr in eurer Trauer und euren Mitmenschen das finden könnt, was ihr gerade braucht – und dass ihr euren Weg im Trauerprozess finden könnt, trotz des Tumultes.
Viel Kraft und Liebe!
K.
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