Rechter Terrorismus?

Einige Gedanken über Nazis und Gewalt – auch am Untermain

(veröffentlicht ursprünglich 2012 auf kommunal.blogsport.de)

Neun Menschen mit Migrationshintergrund und eine Polizeibeamtin sind ermordet worden. Getötet durch eine Gruppe, die sich Nationalsozialisti­scher Unter­grund (NSU) nennt. Reflexartig distanzierte sich das „gute“ Deutschland, sprach von „neuer Qualität“, von rechtsextremem Terroris­mus, von der „Braunen Armee Fraktion“ – was eine Gleichsetzung bein­haltet, die bei aller notwendigen und längst geleisteten Kritik die ehema­lige Rote Armee Fraktion nicht verdient hat.

Ja, es gibt Nazi-Terror. Aber ist er wirklich neu? Und ist die Gewalt als politisches Mittel tatsächlich eine besondere Qualität in extrem rechten Kreisen? Weder noch.

Terror von Rechts

Schon in den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts baute der Bund Deutscher Jugend (BDJ) mit seinem so genannten Technischen Dienst eine Terrorgruppe auf und hatte bereits Mordlisten un­liebsamer Gegner angelegt. Im Jahr 1976 versuchte ein rechter Bundeswehrgefreiter einen Sprengstoffanschlag auf den US-Soldatensender AFN. In den Jahren 1977 und 78 verübte eine Gruppe um Michael Kühnen Überfälle auf Banken und NATO-Militärmitglieder, um Geld und Waffen für Anschlä­ge auf in Deutschland stationierte Soldaten zu bekommen. 1978/79 wur­den 33 Fälle der Beschlagnahme von Waffen und Spreng­stoff bei Knall­rechten gezählt. Auch konnte eine Mord­liste mit 500 Namen sicherge­stellt werden. 1980 kam es „nahezu im Mo­natsrhythmus zu Sprengstoff- und Brandan­schlägen“ mit rechtem Hintergrund (Fabian Virchow in analyse&kritik Nr. 567, 16.12.11). Dabei waren auch Tote zu bekla­gen. Nicht zuletzt die Deut­schen Aktions­gruppen des später bei der NPD belieb­ten Redners Manfred Roeder waren hier aktiv. Roeder wurde daraufhin wegen Gründung einer terroristischen Verei­nigung zu 13 Jah­ren verurteilt.

Dies sind allerdings nur ausgewählte Ereig­nisse, die Aufzählung ließe sich fortsetzen. Höhepunkt war das Oktoberfest-Attentat 1980 mit 13 Toten und 211 Ver­letzen. Es wurde einem Einzeltäter zugeordnet, der bei der Explosion seiner Bom­be selbst zu Tode kam, allerdings beste Beziehungen zur Wehrsportgruppe Hoffmann, ei­ner knall­rechten paramilitärischen Organisation, hat­te. Die Einzeltäter-These wird bis heute von vielen bestrit­ten. Aus der Wehrsportgruppe Hoffmann ging auch der Täter hervor, der 1980 den jüdischen Verleger Shlomo Le­vin und dessen Lebensgefährtin ermordete.

In den neunziger Jahren ging der Terror von rechts weiter. Die blutigen Anschläge von Mölln und Solin­gen oder die Pogromversuche von Ro­stock-Lichtenhagen seien hier exemplarisch erwähnt. Für die Jahre 1990 bis 2011 gehen unabhängige Fachstellen von über 180 Menschen aus, die in Deutschland von Rechten er­mordet wurden, weil sie nicht in deren rassistisches, antisemitisches, sozialdarwinistisches und unsoziales Welt­bild passten.

Der Terror von Rechts ist also seit Beginn der Bundes­republik deren ständiger Begleiter. Er ist nicht neu. Denn das gewaltförmige Bekämpfen von Gegnerinnen und Gegnern, von so genannten „Un­werten“, von an­ders lebenden oder anders aussehenden Menschen ist grundlegender Be­standteil jedes rech­ten, faschistischen, nazistischen Denkens. Gewalt ist keine Ausnahme, sondern eine Selbstverständlichkeit, ja so­gar zwingendes Mittel in brau­nen Männerbünden, in denen diese Gewalt ein akzeptiertes, ein verlang­tes Verhalten ist, um Männlichkeit, Führerqualitäten, Kompromisslosig­keit, „Ehre und Treue“, Opferwillen etc. zu demons­trieren. Genau darum sind diese rechten Kreise so vernarrt in Waffen, Kriegsgerät und Spreng­stoffe. Genau darum ist das Horten und Anwen­den von Waffen und Bomben zwingender, immer feststellbarer Bestand­teil der rechten Szene und nicht etwa eine Aus­nahme, etwas Besonderes. Und daher gibt es kei­nen rechten Terrorismus, der sich von einer saube­ren, reinen und friedli­chen Ideologie unterscheiden ließe, weil eben die Ideologie Teilmenge des Terrors ist und nicht umgekehrt. Was sind Fa­schisten und Nazis ohne Gewalt? Sie können sich ja nicht einmal liebe­voll anschauen, ohne sich gegenseitig für schwul zu halten – was in ih­ren Augen noch schlimmer wäre, als jemanden tot zu prügeln. Doch mit der Waffe in der Hand ist es eben etwas anderes …

Extremismus und Hufeisen

So genannte Extremismus-Expertern haben ein Hufei­sen-Modell entwi­ckelt, das besagt: Vorne ist die gute Mitte, nach links und rechts biegt sich die politische Landschaft wie ein Hufeisen nach hinten, so dass sich die beiden Ränder fast wieder berühren. Diese Ränder heißen Links- und Rechtsextremismus. Ein Beleg für die Gefährlichkeit des als Rechtsex­tremismus bezeich­neten wurde im obigen Kapitel schon gegeben; der Linksextremismus wird bei den „Extremismus-Ex­perten“ z. B. durch die in Berlin abgefackelten Dut­zenden von PKWs belegt. Abgesehen da­von, dass so mancher sein altes Auto zu Lasten der Ver­sicherung so ganz gut ent­sorgen kann, gibt es wohl wirklich einige Linke, die meinen, mit abgefackel­ten Au­tos den Ka­pitalismus, den Staat oder wen auch im­mer beeindrucken zu kön­nen. Das darf sehr gerne kritisiert werden. Dies spätpu­bertäre Verhal­ten ist aber in keiner Weise mit den Taten rechter Gewalttäter gleich­setzbar! Oder nur dann, wenn das Abfül­len von Weinflaschen mit Benzin dem Horten von Schußwaffen und Sprengstoff gleichge­setzt wird; oder wenn das Zerstö­ren von Autos mit dem Hin­richten von Menschen gleichzusetzen sein soll. Ein perverses Denken, das diese „Experten“ beherrscht.

Faktisch aber – und das haben kritische Sozialwis­senschaftler längst fest­gestellt – soll dieses Hufein­sen-Mo­dell nur dazu dienen, die bürgerliche Mitte als einzig Gutes dar­zustellen, das es gegen das Schlechte von Rechts und Links zu verteidi­gen gelte. So als ob das rechte Denken nicht direkt aus dieser Mitte der Gesell­schaft käme; eine Mitte, in der Arbeits­zwang-Vorstellungen, ras­sistische und antisemitische Vorbehalte, autori­täre und unsoziale Ideen, militärische „Lösungs“vorstellungen nur etwas besser verklausu­liert werden als rechts außen, wo dies alles lediglich ex­tremer erscheint (und nur so ist der Begriff Rechts­extremismus anwend­bar).

Die hundertfachen Toten des Extremismus der Mitte und des Bundesta­ges – wie die Tötungen an 200 afghanischen Zivilisten oder die Tatsache, dass heute aufgrund der Flüchtlingspolitik das Mittelmeer das größte Massengrab der Welt ist – sind allerdings nicht Thema dieses Aufsatzes. Nur soviel: Die Terrorgruppe NSU ist eine Geschenk für alle gewaltbe­reiten Abgeordneten, wenn es darum geht, Position gegen Gewalt zu beziehen. „Haltet den Dieb“ schreit der Dieb.

Rechts ist doch nicht links

Dass aber interessanterweise in Wirklichkeit niemand an die Links-Rechts-Gleichstellung des Hufeinsen-Modells glaubt, das zeig­te sich ausgerechnet bei dem mörderischen An­schlag 2011 in Norwegen. Zu­erst gingen einige von einem isla­mistischen Hintergrund aus. Aber nur kurz. Denn dann wur­de klar, dass der Täter Anders Breivik ein blonder Nor­weger ist. Nun hätte ganz im Sinne des Hufeisen-Modells dieser Breivik sowohl ein rechter als auch ein linker Täter sein kön­nen. Allerdings kam nie­mand, wirklich niemand auf die Idee, diese Tat, dieses fast ziellose Hinrichten von Menschen träge Züge einer linken Aktion. Es war klar, was sich dann auch zeigte: Breivik ist ein Rechter. Seine Tat entsprang dem teils paranoiden Weltbild des norwegi­schen wie internatio­nal anzutref­fenden Faschismus, der niemals ein Pro­blem mit dem Einsatz von Gewalt hat.

Es ergibt sich ein Unterschied ums Ganze, wenn radi­kal linke und knall­rechte Ideen gegeneinander gestellt werden. Und eine Gleichset­zung kann nur dazu dienen, jede angesichts der Krisenhaftigkeit des Ka­pitalismus dringend notwendige gesellschaftsver­ändernde Idee als „ex­tremistisch“ zu brandmarken und damit als ungesetz­lich, gar als undenk­bar zu denunzieren.

„Extremismus-Experten“ sind daher keine Sozialwis­senschaftler, son­dern sehr gut bezahlte Ideologieprodu­zenten zu Gunsten des real existie­renden Politik- und vor allem Wirtschaftssys­tems.

Und am bayerischen Untermain?

„Nach neuen Erkentnissen des Bündnis gegen Rechts gibt es nun eindeu­tige Belege dafür, dass die Terroristen der `Zwickauer Zelle´ Uwe Böhn­hardt und Uwe Mundlos 1996 am so genannten `Münstermann-Marsch´ gemeinsam mit Spitzenfunktionären der Bundes-NPD unter der Führung von Falko Schüßler aus Laufach (ehemals Landesvorsitzender der verbo­tenen FAP) und Axel Schunk aus Stockstadt (ehemals Bundesvorstand der verbotenen Wiking-Jugend) mitmarschierten.“ (aus: MedienInforma­tion des Aschaffenburger Bündnis gegen Rechts vom 22.01.12)

Die erhöhte Gewaltbereitschaft in diesen rassistisch und patriarchal strukturierten Gruppen ist bekannt und war bereits in früheren Jahren auch am Un­termain immer wieder belegbar. Bei 141 Delikten mit frem­denfeindlichem oder antisemitischem Hintergrund im Jahr 2000 in Un­terfranken lag der Bereich der Polizeidirektion Aschaffenbug mit 51 De­likten auf dem ersten Platz.

Hier ist auch interessant, dass bereits im August 2000 bei einer Motor­radgruppe im Raum Miltenberg Waffen, Betäubungsmittel und rechtsex­tremes Material sichergestellt wurden.

Gut erkennbar wird die Bereitschaft zu extremer körperlicher Gewalt in rechtsextremen Kreisen, wenn wir z.B. an den Überfall vom Januar 2001 denken, als mehrere Rechtsorientierte eine alternative Party angriffen, oder an einen Vorfall vom August 2000: Damals trafen sich Rechtsextre­me im Mömlinger Steinbruch, wobei einer im Streit erschlagen wurde.

Wiederum in Mömlingen waren es 2003 u.a. die sattsam bekannten Springerstiefel, mit denen ein Mann malträtiert wurde. Vier Jugendliche bzw. junge Männer wurden angeklagt. Fazit: Gefährli­che Körperverlet­zung. Sie hatten dem Opfer Gehirnerschütterung, Nie­renquetschung, Kieferprellung und weitere Verletzungen beigebracht. Rund 20 Personen hätten in einer Gruppe zusammengestanden und die Auseinandersetzung miterlebt. (nach: Rechtsex­tremismus am bayerischen Untermain 2004, Broschüre, her­aus­ge­ge­ben durch die In­itia­ti­ve De­mo­kra­tie & Frie­den, Mil­ten­berg, April 2004)

„Bereits 1997 verhaftete die Polizei einen damals 46jährigen aus Amor­bach (Kreis Miltenberg), der Gewehre, Granaten, Pistolen, zwei kom­plette MG 42, drei Maschinenpistolen und 15.000 Schuss Munition ein­gelagert hatte. Die Beamten konnten auch ande­re Gegenstände wie Hel­me, umfangrei­che rechtsextreme Schrif­ten, Reichs­kriegs- und Hakenkreuzfah­nen mitneh­men und stellten fest, dass der Mann Mitglied der Deutschen Liga für Volk und Heimat war [siehe dazu die Fotos]. Damals glaubten viele, mit dieser Raz­zia wäre das Problem der be­waffneten Rechtsextremisten am bayeri­schen Un­termain auch schon erledigt. Weit ge­fehlt. Denn im Fe­bruar und März 2006 konnten neue Waffenfunde vermeldet werden.

Von `Sammlern mit rechtem Touch´ sprach die Polizei, als sie am 8. Fe­bruar 2006 das umfangreiche Waffenarsenal von zwei Brüdern in Elsen­feld (eben­falls Kreis Miltenberg) aushoben. Eine Panzerfaust, ein Mör­ser zum Abschuss von Garanten, eine Hand­granate sowie zahlreiche Ge­wehre und Faustfeuerwaffen wur­den sicher­gestellt. Die beiden Brü­der sind der rechten Szene zuzuord­nen, betonte die Polizei.

Bereits am 7. März fanden Beamte erneut eine Waffe bei einem Neona­zi im Kreis Miltenberg. Im Rahmen der bundesweiten Razzien gegen Per­sonen, die der verbotenen Blood & Honour-Struktur angehören, wur­de bei einem 26jährigen aus einer Landkreisgemeinde eine funktions­fähige Pistole Kaliber 7,65 mm be­schlagnahmt. Rechtsextremisten … (Im Raum Aschaffenburg-Milten­berg treten Rechte) seit vielen Jah­ren immer mal wieder durch Ge­walttaten in Erscheinung. So z.B. im Juni 2005 bei ei­nem Überfall auf das WAMSS-Festival in Kleinwall­stadt, wo bei einem Überfall von Rechtsextremen fünf Personen verletzt wurden. Oder bei einer Faschingsveranstaltung 2006 in Amorbach, in deren Umfeld acht bekannte rechtsextreme Personen – der Älteste war 23 Jahre alt – nach­einander auf mehrere alternativ aussehende oder far­bige Jugendliche Jagd machten und zwei davon verletzten. Einem Farbi­gen wurde ein Zahn ausgeschlagen.“ (aus: de.indymedia.org, 10.03.06)

„Die Gewaltbereitschaft, die der NPD wie allen anderen Nazigruppen ei­gen ist, zeigte sich u.a. 2008 am Rande eines Infostandes dieser Partei in Aschaffenburg. Mitglieder des Bündnisses gegen Rechts beobachteten diesen. Obwohl es keinerlei Provokationen gab und die Beteiligten alle unbewaffnet waren, griffen die NPD-Anhänger die Leute des Bündnisses gegen Rechts mit CS-Gas, Teleskopschlagstöcken und Knüppeln an. Die Angegriffenen konnten sich alle durch Flucht retten, allerdings wurden mehrere durch CS-Gas-Attacken verletzt.“ (aus: subradical.blogsport.de, 20.09.09)

Die obige Aufzählung ist unvollständig und nur beispielhaft. Und: „Die Dunkelziffer der nicht erfassbaren, die nicht öffentlich gewordenen Ge­walttaten von Rechtsextremisten dürfte allerdings erheblich sein. “ (aus: Rechtsextremismus am bayerischen Untermain 2004, Broschüre)

mb & miba


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