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Vielfalt als Ausrede

Ein Rückblick auf die Auseinandersetzung um die Teilnahme von DITIB am Brüderschaft der Völker/Fest für Vielfalt

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#12 – Vielfalt als Ausrede
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„Aschaffenburg steht fest für Vielfalt – das feiern wir seit 40 Jahren am dritten Juli-Wochenende“, das weiß die Stadt Aschaffenburg zu berichten. Auch 2025 bewirbt man das Fest für Vielfalt mit großen Ankündigungen wie „Vielfalt und Inklusion leben, Toleranz feiern, Menschen begegnen, sich austauschen und Zusammenhalt stärken: herzliche Einladung zum Fest für Vielfalt. Hinter dem Fest stehen die Stadt Aschaffenburg – das Kulturamt als Veranstalter, der Stadtjugendring als Ausrichter und viele Gruppen und Vereine.“ Doch ein Blick in die Geschichte des Festes offenbart es als Austragungsort eines jahrelangen politischen Konflikts, den man vermutlich gerne unter den Teppich gekehrt hätte.

Bereits 2012 meldet sich das Bündnis gegen Rechts zu Wort und verkündet in einem Flugblatt: „Fünf Aschaffenburger Vereine aus dem türkisch-kurdischen Migrationsumfeld (…) haben sich dieses Jahr vom Fest verabschiedet.“ Der Grund? Die Stadt Aschaffenburg setzte die Beteiligung von DITIB am Brüderschaft der Völker (so hieß das Fest ursprünglich) durch. Darum bemühte sich DITIB laut Recherchen des Main-Echo schon jahrelang vergeblich. Geändert wurden die Grundvoraussetzungen, als der Stadtjugendring 2010 die Festorganisation übernahm.

DITIB ist die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e. V., die größte sunnitisch-islamische Organisation in Deutschland, die direkt der türkischen Religionsbehörde (staatliches Präsidiums für religiöse Angelegenheiten) untersteht und deshalb ohne große Spekulationen als politischer Arm der AKP-Regierung in der Türkei und damit von Erdogan persönlich bezeichnet werden kann.

Erst 2018 kam das Thema dann wieder in den Fokus der Öffentlichkeit, als der SPIEGEL berichtete, die türkische Religionsbehörde hätte dazu aufgefordert, für den Sieg der türkischen Truppen in Nord-Syrien zu beten. In der Kritik stand die türkische „Operation Olivenzweig“ damals bereits, da sie sich gegen die kurdischen „Volksverteidigungseinheiten“ der YPG und YPJ richtete, welche in der Vergangenheit vor allem durch ihren entschiedenen Kampf gegen den Islamischen Staat aufgefallen waren. In Aschaffenburg forderten daraufhin sechs Gruppierungen den Ausschluss von DITIB vom Fest Brüderschaft der Völker. Die Auseinandersetzung führte zu einer Sitzung des Aschaffenburger Stadtrats, während der lediglich vier Ratsmitglieder gegen die Teilnahme von DITIB stimmten. Laut Main-Echo wurde dort ebenfalls aus Erklärungen des Moscheevereins (DITIB) zitiert, nach denen es keinerlei Gebete „für den Krieg“, sondern ausschließlich „für den Frieden im Gebiet“ gegeben habe. Begrüßt wurde die Entscheidung – wenig überraschend – nicht nur vom damaligen DITIB-Vorsitzenden Orhan Akdemir, der die Gelegenheit nutzte, alle Aschaffenburger Bürger zum Fastenbrechen einzuladen, sondern auch von Uli Kratz, seines Zeichens Geschäftsführer des Aschaffenburger Stadtjugendrings von 2009 bis 2023.

Die sechs renitenten Gruppen, also SPD Ortsmitte, Attac, Die Linke, Kommunale Initiative, Bündnis gegen Rechts sowie Demokratisches Kurdisches Gesellschaftszentrum, luden nur wenige Wochen später zur Diskussion in die Aschaffenburger Stadthalle. Dort forderte man eine deutliche Distanzierung vom DITIB-Dachverband. Unter dem Deckmantel für „Dialog“, „Integration“ und „gegen Ausgrenzung“ zu sein, erlaubte es das Main-Echo dem Grünen-Stadtrat Stefan Wagener sowie erneut Uli Kratz, sich als Reaktion darauf in Szene zu setzten. Spätestens damit war der anhaltende Grundton der Debatte festgelegt: Die DITIB-Gegnerinnen sind – trotz offener, für alle zugänglicher Diskussionen und nachvollziehbarer Argumentation – uneinsichtig und damit die wahren Quertreiber.

Die Gemüter waren nun ausreichend erhitzt, und so kam es während der Festaktivitäten im selben Jahr zu zwei kleinen Skandalen, die nicht nur Regionalpresse, sondern auch beachtliche Teile der politisch interessierten Öffentlichkeit beschäftigten. Zuerst sorgten Aktivistinnen des Stern – Verein zur Förderung alternativer Kultur und politischer Bildung Aschaffenburg e.V. „für (eine) kurze Irritation“ (Zitat: Main-Echo), als sie Flyer und Luftballons vor dem Festgelände verteilten.

Während der Aktion kam es zu bedrohlichen Situationen, als Männer in DITIB-Shirts die Aktivistinnen erst fotografierten, dann verbal angingen und schließlich versuchten, Flugblätter zu entwenden; natürlich im Nachhinein von Orhan Akdemir abgestritten und vom Stadtjugendring um Uli Kratz ignoriert. Ein Jahr später analysiert J., einer der beteiligten Aktivistinnen, im Interview mit dem Blog RANDZEILEN die Ereignisse: „Durch eine einlullende Öffentlichkeitsarbeit soll von dem eigentlichen Zweck von DITIB abgelenkt werden: Nämlich als politisch und religiös-ideologischem Werkzeug des türkischen Regime zu agieren. Selbst wenn die Maskerade mal fällt – so wie im letzten Jahr, als DITIB-Mitglieder bedrohlich gegenüber Menschen auftraten (…) schauen Verantwortliche des Festes lieber weg, als ihren Pro-DITIB-Kurs zu überdenken.“ Die allgemeine Stimmung in Aschaffenburg hält J. für gefährlich, denn „rechten Gruppen wird so eine Plattform gegeben. Was dazu führt, dass (…) deren Inhalte als harmlos und normal wahrgenommen werden.“

Im selben Interview wird angemerkt, dass es sich dabei nicht um eine neue Entwicklung handelt, denn „auch andere Gruppen, die regelmäßig Stände auf dem Fest betreiben“ haben z.B. durch Aushänge darauf aufmerksam gemacht, „dass sie nicht mit der Teilnahme von DITIB einverstanden sind. Diese Aushänge mussten aber sehr schnell wieder abgehängt werden. Der Stadtjugendring duldet als Veranstalter keine kritischen Stimmen auf dem Fest.“ Laut interessierten Beobachterinnen der Situation könnte es sich bei einer dieser Stimmen um die KOMMZ-Gruppe gehandelt haben, die bereits versuchte, mithilfe einer politischen Litfaßsäule auf die Situation in der Türkei hinzuweisen. Im selben Jahr veröffentlichte Attac Aschaffenburg einen Flyer zum Thema. Das Verteilen auf dem Festgelände wurde von Sicherheitsleuten unterbunden, konnte aber auf öffentlichen Wegen weitergeführt werden.

Oben: Vom Main-Echo unveröffentlichter Leserbrief des Stern e.V.

Ebenfalls 2018 sollte Welcome to Stay – ein Projekt in den Räumen des Stern e.V. – dessen Schwerpunkt die Arbeit mit Flüchtlingen darstellte, mit dem Michael-Narloch-Preis ausgezeichnet werden. Während der Preisverleihung auf dem Fest Brüderschaft der Völker wurde der Vertreterin, die den Preis entgegennehmen sollte, das Mikrofon aus der Hand genommen, als sie dazu ansetzte, die Teilnahme von DITIB am Fest zu kritisieren. In Folge der Auseinandersetzung gab Welcome to Stay den Preis zurück. Die Ereignisse rund um den Umgang mit Kritikerinnen führten dazu, dass die ebenfalls ausgezeichnete Initiative Wir für Aschaffenburg auch ankündigte, ihren Preis sowie das Preisgeld zurückzugeben, denn „der Vorfall während der Preisverleihung“ sei „nicht mit den eigenen Werten vereinbar“ und „widerspreche den eigenen demokratischen Überzeugungen“ (Zitate: Wir für Aschaffenburg laut Main-Echo).

So hoch die Wellen schlugen, so schnell verebbte die Empörung, und die nächsten Jahre verliefen recht ereignisarm. Anfang 2019 organisierte der Stern e.V. eine Kundgebung auf dem Aschaffenburger Theaterplatz, um sich gegen die Unterstützung für DITIB durch Stadtrat und Stadtjugendring auszusprechen. Dem Aufruf folgten laut Main-Echo lediglich zwei Dutzend Personen.

Stern-Mitglieder sowie Unterstützerinnen verteilten auch in den darauf folgenden Jahren Flyer, was 2019 nur noch kurz von der Hauptbühne auf dem Fest mit dem Aufruf kommentiert wurde, die Flyer einfach zu ignorieren. Die laut J. von „vielen Gruppen“ angekündigten Proteste für 2019 waren demnach wohl – nicht nur nach seiner Einschätzung – nie mehr als „heiße Luft“.

Bis heute ist DITIB ein Teil des Brüderschaft der Völker/Fest für Vielfalt.

Redaktion fundstuecke.info, Juni 2025

Quellen: Fest für Vielfalt/fest-fuer-vielfalt.de, Stadt Aschaffenburg/aschaffenburg.de, Main-Echo/main-echo.de, Bündnis gegen Rechts Aschaffenburg-Miltenberg/bgr-ab-mil.de, Flyer, ein Privatarchiv, Spiegel/spiegel.de, Wikipedia/wikipedia.org, Randzeilen/randzeilen.wordpress.com, Attac Aschaffenburg/attac-aschaffenburg.de


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